Die Frage nach dem Stellenwert der Doktrin (Lehre) gegenüber dem Stellenwert der persönlichen Erfahrung ist heute ein wichtiges Thema, sowohl was die Erlösung als auch was die Nachfolge betrifft.
Viele Menschen sagen, dass die bloße Überzeugung von bestimmten lehrmäßigen Wahrheiten kein rettender Glaube ist. Stattdessen ist eine persönliche Begegnung mit Gott das, was rettender Glaube wirklich ist.
Ist der Glaube propositional [aussagenlogisch, d.h. Wissen, das auf Basis einer begründeten Aussage zustande gekommen ist] oder persönlich? Ich habe gehört, wie Menschen die Theologie der freien Gnade ablehnten, weil sie sagten, wir würden an eine Aussage (Proposition) glauben, nicht an eine Person.
Nun, alle Wahrheit ist propositional.
Der Name Jesus ist keine Proposition. Man kann nicht an das Wort „Jesus“ glauben. Man kann etwas über Ihn glauben. Aber das einzelne Wort „Jesus“ ist für sich genommen ohne Bedeutung.
Ich erinnere mich, wie Eldridge Cleaver im Fernsehprogramm „The 700 Club” sagte, er habe das Gesicht Jesu auf dem Mond gesehen. Das war sein Zeugnis, wie er Christ wurde. Er begegnete Jesus. Das war alles. Siehe hier (in Englisch) für weitere Details.
Das mag seltsam klingen und nichts mit dem tatsächlichen Glauben an Jesus zu tun haben. Tatsächlich würden fast alle Evangelikalen verlangen, dass der Glaube an Christus zumindest einen gewissen Inhalt hat. Aber die meisten Theologen sind schnell dabei, den Glauben an eine Doktrin (Lehre) als unzureichend zu verurteilen und auf die Wirksamkeit einer persönlichen Begegnung mit Jesus Christus hinzuweisen. Der Theologe Wayne Grudem zitiert vier evangelistische Stellen aus dem Johannesevangelium sowie Mt 11,28-29 und sagt dann: „Alle diese Stellen bekräftigen, dass das Vertrauen auf Christus, um der Errettung willen, bedeutet in seine Gegenwart zu kommen und mit ihm zu interagieren, ihm persönlich zu vertrauen. Es geht um eine persönliche Begegnung“ („Free Grace Theology: 5 Ways It Diminishes the Gospel“ [„Theologie der Freien Gnade: Fünf Wege, wie sie das Evangelium reduziert“], S. 108, Unterstreichung hinzugefügt). Dann zitiert er Johannes 1,11-12 und fügt hinzu: „Nicht: Allen, die den Tatsachen über ihn geistig zustimmten, sondern allen, die ihn aufnahmen. Im Kontext des ersten Jahrhunderts hätte ‚jemanden aufnehmen‘ bedeutet, die Person in die Gemeinschaft, in eine Beziehung, wahrscheinlich in das eigene Haus und sicherlich in das eigene Leben aufzunehmen. Es geht um eine persönliche Begegnung mit Jesus Christus“ (S. 108, Hervorhebung von Grudem).
Mormonen haben persönliche Begegnungen mit dem Herrn Jesus Christus. Sie können Ihnen von ihrem Brennen im Inneren erzählen. Warum also ist ihre Begegnung mit dem Herrn Jesus Christus mangelhaft und die protestantischen oder katholischen Begegnungen wirksam? Die meisten würden sagen, dass rettender Glaube eine Kombination aus dem Glauben an ein Mindestmaß an Fakten über Jesus und einer persönlichen Begegnung mit Ihm ist, bei der man sich verpflichtet, Ihm für den Rest eigenes Lebens zu dienen.
Wie Gordon Clark in seinem Buch „Faith and Saving Faith“ [„Glaube und Rettender Glaube“] gezeigt hat, ist aller Glaube propositional. Hier ist eine Aussage (Proposition) über den Herrn: Jesus wurde in Bethlehem geboren. Das ist wahr. Hier ist eine andere: Jesus garantiert allen, die an Ihn glauben, ewiges Leben, das niemals verloren gehen kann. Auch das ist wahr. Der Glaube an die erste Aussage wird nicht zu Ihrer Wiedergeburt führen. Der Glaube an die zweite Aussage schon.
Ein Freund sagte mir: „Du glaubst nicht an eine Person. Du glaubst an einen Satz.“ Das ist lächerlich. Wenn man eine Aussage über ein Versprechen glaubt, das eine Person gegeben hat, dann glaubt man an diese Person. Man kann die Vertrauenswürdigkeit der Person nicht von ihrem Versprechen trennen.
Wir können nicht wiedergeboren werden, ohne an die rettende Botschaft zu glauben, das ist ein Grundsatz, eine Doktrin (Lehre).
Wir können auch nicht im christlichen Leben wachsen, ohne an Gottes Wort zu glauben, das ist eine Doktrin. Wir werden durch die Erneuerung unseres Sinnes verwandelt (Röm 12,2). Nur mit unverhülltem Angesicht, das die Herrlichkeit des Herrn in der Schrift sieht, wird unser Leben verändert (2. Kor 3,18). Ohne Lehre gibt es keine Veränderung.
Das heißt nicht, dass die Lehre allein uns verwandelt. Wir müssen die Lehre, die wir in unseren Ortsgemeinden erhalten, anwenden, um Christus ähnlicher zu werden (Jak 1,21; 2,14-17). Das gilt auch für die neue Geburt in dem Sinne, dass wir Johannes 3,16 anwenden, indem wir glauben, was der Herr dort sagt. Es reicht nicht aus, Seine Verheißung zu verstehen. Wir müssen davon überzeugt sein, dass sie wahr ist.
Ich habe Freunde, die Pastoren von so genannten lehrmäßigen Kirchen sind. Das sind Kirchen, die die Notwendigkeit der Lehre für die Rechtfertigung und Heiligung betonen. Heutzutage ist es leicht, sich von coolen Ideen wie Kerzen, Weihrauch, spezieller Beleuchtung, stillen Exerzitien, Gebetslabyrinthen, gedankenfreier „Meditation“ und dem Singen spezieller Worte und Phrasen anstecken zu lassen. Diese Dinge führen dazu, dass Menschen Erfahrungen machen, die sie als Begegnungen mit Gott verstehen. Sie fühlen sich Gott näher. Aber solche Erfahrungen sind gefälschte Spiritualität. Wahres geistliches Wachstum erfordert das Lehren von Gottes Wort, um die eigene Weltsicht zu verändern.
Wir begegnen Gott, wenn wir Seinem Wort glauben und es anwenden. Der Geist Gottes nimmt das Wort Gottes und erneuert unseren Geist, mit dem Ergebnis, dass wir dem Herrn Jesus Christus ähnlicher werden. Der Glaube und die Anwendung der Lehre sind Begegnungen mit Gott. Christliches Wachstum basiert nicht entweder auf Lehre oder auf der Begegnung mit Gott. Es ist beides. Wir begegnen Gott durch Sein Wort.
Bevor ich 1970 mit dem Studium begann, ging ich für drei Monate nach Europa. In den 1970er Jahren kostete ein Anruf nach Hause 9 Dollar pro Minute. Das würde heute 68,76 Dollar pro Minute entsprechen. Ich glaube nicht, dass ich in diesen drei Monaten mehr als insgesamt fünf Minuten mit meinen Eltern gesprochen habe. Aber ich bekam Briefe von ihnen in jeder größeren Stadt. Sehr viele Briefe. Ich stand stundenlang in einem American Express Büro an, nur um zwei oder drei Briefe von zu Hause zu bekommen. Als ich diese Briefe las, begegnete ich meinen Eltern. Sie erinnerten mich oft daran, wer ich bin, wohin ich gehe und was im Leben wichtig ist.
Wenn Sie jemanden lieben, dann lieben Sie auch die Worte dieser Person. Die Doktrin ist das, was wir Gottes Worte nennen. Wenn Sie Ihn lieben, dann lieben Sie auch die Lehre.