Neulich las ich eine Buchbesprechung im „Journal of the Evangelical Theological Society“ (JETS, Juni 2021, S. 411-415). Das rezensierte Buch hieß „Finding the Right Hills to Die On: The Case for Theological Triage“ von Gavin Ortlund. Ich habe das Buch noch nicht gelesen. Aber die Besprechung zeigt eine faszinierende Art und Weise auf, die Bedeutung verschiedener theologischer Lehren zu betrachten.
Laut Eric Oldenburg, dem Rezensenten, schlägt Ortlund „eine vierfache Unterteilung vor: Lehren ersten Ranges oder wesentliche Lehren, Lehren zweiten Ranges oder dringende Lehren, Lehren dritten Ranges oder wichtige Lehren und Lehren vierten Ranges oder unwichtige Lehren“ (S. 411). Ortlund nennt die Jungfrauengeburt und die Rechtfertigung durch den Glauben Lehren ersten Ranges. Als Lehren zweiten Ranges werden das Ende von bestimmten geistlichen Gaben (Englisch: cessationism) versus die Fortsetzung aller in der Bibel erwähnten geistlichen Gaben (Englisch: continuationism) und die komplementär-egalitäre Debatte aufgeführt. An dritter Stelle stehen die Lehre vom Millennium und die Schöpfungs-Evolutions-Debatte. Der Rezensent gibt nicht an, was Ortlund als Beispiele für Lehren des vierten Ranges anführt.
Ich fragte mich: Wie würde ich die vier Ebenen der Lehre über die Theologie der freien Gnade einstufen? Wie Sie sich vielleicht vorstellen können, habe ich dazu eine Meinung!
Zu den Lehren der ersten Ebene, d.h. den wesentlichen Lehren der Freien Gnade, gehören der rettende Glaube als Überzeugung, die Gewissheit [der eigenen Errettung] als das Wesen des rettenden Glaubens, die ewige Sicherheit, die Rechtfertigung allein durch den Glauben, die Jungfrauengeburt, die Gottheit Christi, die Dreieinigkeit, die stellvertretende Sühne, die unbegrenzte Sühne, die leibliche Auferstehung Jesu von den Toten am dritten Tag und die baldige Wiederkunft Jesu. [i]
Ich schlage die folgenden Lehren als Lehren der zweiten Ebene der Freien Gnade vor, die dringend notwendig, aber nicht unerlässlich sind: die Irrtumslosigkeit der Schrift, der Unterschied zwischen ewiger Errettung und ewiger Belohnung, die Taufe durch Untertauchen als ersten Schritt in der Nachfolge und die Bibelauslegung Vers für Vers.
Zu den Lehren der dritten Ebene, d. h. zu den wichtigen Lehren der Freien Gnade, gehören der Kreationismus der jungen Erde, die weltweite Flut, die ewige bewusste Qual , die Gefahren der kontemplativen Spiritualität, das Ende einiger geistlicher Gaben gegenüber dem Fortbestehen aller geistlichen Gaben, die Ältestenleiterschaft, das Abendmahl und der Dispensationalismus (Lehre über die Haushaltungen).
Die vierte Ebene, d. h. die unwichtigen Lehren der Freien Gnade, sind alle Lehren, die sich nicht nachweislich auf die Position der Freien Gnade auswirken. Ich würde die folgenden Freie-Gnade-Lehren als Lehren der vierten Ebene bezeichnen: Kopfbedeckung für Frauen beim Beten, Beschneidung aus gesundheitlichen Gründen, Ernährungsgewohnheiten aus gesundheitlichen Gründen, Weintrinken im Gegensatz zur Abstinenz (von Alkohol), Tätowierungen und die bevorzugte Bibelübersetzung.
Und auf folgende Weise würde sich das praktisch auswirken:
Wir sollten verstehen, dass es Menschen gibt, die sich als Freie-Gnade-Anhänger bezeichnen, die aber andere grundlegenden Lehren der Freien Gnade haben als die, die ich skizziert habe. GES wurde von Menschen, die sich selbst als Anhänger der Theologie der freien Gnade bezeichnen, getadelt, weil wir glauben, dass die Gewissheit [der eigenen Errettung] zum Wesen des rettenden Glaubens gehört. Wenn jemand, der sich mit der Lehre der freien Gnade identifiziert, glaubt, dass römische Katholiken und andere Menschen, die überzeugt sind, dass sie durch Werke errettet werden, wiedergeboren und ewig sicher [bezüglich ihrer ewigen Bestimmung] sind, auch wenn sie nie an die freie Gabe des ewigen Lebens geglaubt haben, dann sollte klar sein, dass sie nicht mit GES übereinstimmen, und wir nicht mit ihnen. Die beiden Lehrmeinungen unterscheiden sich bezüglich dessen, was man tun muss, um ewiges Leben zu erlangen, und das bringt uns auf unterschiedliche Wege, auch wenn sich beide als Anhänger der Freie-Gnade bezeichnen.
Ich denke nicht, dass die Freie-Gnade-Lehren der zweiten, dritten oder vierten Ebene so wichtig sind, dass wir uns deswegen trennen sollten. Ich kenne zum Beispiel viele Mitglieder und Mitarbeiter in der GES, die nicht an Kreationismus der jungen Erde, das Ende von [einigen] geistlichen Gaben oder die Ältestenleiterschaft glauben.
Einige der Lehren, die ich als Lehren der zweiten oder dritten Ebene der Freien Gnade aufgeführt habe, sind für mich sehr nahe an einem Trennungsgrund: die Ablehnung der ewigen bewussten Qual , die Ablehnung der Irrtumslosigkeit der Bibel und die Annahme der kontemplativen Spiritualität. Natürlich habe ich die Erfahrung gemacht, dass Menschen, die in diesen Fragen anderer Meinung sind, auch in einer oder mehreren Lehren der ersten Stufe der Freien Gnade anderer Meinung sind.
Wie steht es mit Ihnen? Wie würden Sie die erste, zweite, dritte und vierte Ebene der Theologie der freien Gnade definieren? Welche Lehren sind so wichtig, dass Sie sich von denen trennen würden, die diesen nicht zustimmen würden?
Der Schlüssel zur Lehre ist „die Gesinnung Christi“ zu haben (1. Kor 2,16). Wenn wir glauben und lehren, was Er gelehrt hat, dann werden wir auf einer soliden Grundlage stehen, wenn Er uns am Bema [Christi Richterstuhl für Gläubige] richtet.
i Ich [Bob Wilkin] will damit nicht sagen, dass ein Mensch nicht wiedergeboren werden kann, ohne an all diese Lehren zu glauben. Die einzige Bedingung für die Wiedergeburt ist der Glaube an den Herrn Jesus Christus, wegen des Geschenks Gottes, des ewigen Lebens (Joh 3,16; 4,10.14; 5,24; 6,25-27). Aber wenn jemand nicht an all diese Lehren glaubt, dann ist er kein Befürworter der Freien Gnade.