Prüft euch selbst, ob ihr im Glauben seid; stellt euch selbst auf die Probe! Oder erkennt ihr euch selbst nicht, dass Jesus Christus in euch ist? Es sei denn, dass ihr unecht wärt! (Schlachter 2000)
Johannes Calvin lehrte, dass man nicht auf seine eigenen Werke schauen sollte, um Heilsgewissheit1 zu erlangen. Er sagte, wir sollten auf Christus schauen, den Gegenstand unseres Glaubens. Seine Anhänger wichen jedoch in diesem Punkt von ihm ab und forderten die Menschen auf, auf ihre Werke zu schauen, um Gewissheit zu erlangen. Einer der Verse, die in dieser Diskussion oft zitiert werden, ist 2. Korinther 13,5.
Einigen [Auslegern] zufolge lehrte Paulus in 2. Korinther 13,5, dass die Gläubigen ihr Leben regelmäßig prüfen sollen, um herauszufinden, ob sie wirklich gläubig sind oder nicht. Ein kürzlich erschienener Autor zitierte diese Stelle, um seinen Standpunkt zu belegen: „Zweifel an der eigenen Errettung sind nicht falsch, solange man sie nicht hegt und zulässt, dass sie zu einer Besessenheit werden. Die Heilige Schrift ermutigt zur Selbstprüfung. Zweifel müssen konfrontiert werden und man muss ehrlich und biblisch damit umgehen.“ Nachdem er 2. Korinther 13,5 zitiert hat, schließt er mit den Worten: „Diese Ermahnung wird in der heutigen Kirche weitgehend ignoriert – und oft wegdiskutiert.“ (John F. MacArthur, Jr., „The Gospel According to Jesus“ [Evangelium gemäß Jesus], S. 190).
Welche Belege gibt es dafür, dass eine solche Auslegung richtig ist? Der Vers weist darauf hin, dass die korinthischen Gläubigen sich selbst prüfen sollten, um zu sehen, ob sie im Glauben sind und ob Christus in ihnen ist. Auf den ersten Blick scheint es hier eindeutig um die Heilsgewissheit durch Selbstprüfung zu gehen. Wenn man jedoch den genauen Zweck dieser Selbstprüfung sorgfältig betrachtet, stellt man fest, dass es überhaupt nicht um die Gewissheit der Errettung geht. Mehrere Überlegungen unterstützen diese Schlussfolgerung. Erstens schrieb Paulus an Gläubige, nicht an Ungläubige. Paulus stellt die Errettung seiner Leser nicht in Frage. Er bekräftigt ihre Errettung wiederholt. Welches Verständnis wir auch immer von 2. Korinther 13,5 annehmen, dies muss berücksichtigt werden.
Zweitens war die Gemeinde in Korinth voller Spaltungen, Streit, Neid, Trunkenheit und Unzucht (1. Korinther 1,11; 3,1-3; 5,9-6,20; 11,21.30), als Paulus den ersten Korintherbrief schrieb. In 1. Korinther 3,1-3 und 6,19-20 verweist Paulus auf ihre Fleischlichkeit und nennt sie dennoch „Kinder in Christus“ und solche, deren „Leib der Tempel des Heiligen Geistes ist“. Korinther 3,1-3 und 6,19-20 lassen sich nicht mit der Auffassung vereinbaren, dass Paulus in 2. Korinther 13,5 die Gläubigen lehrte, auf ihre Werke zu schauen, um Heilsgewissheit zu erlangen.
Drittens lehrte Paulus im Römerbrief, dass die Gläubigen sicher sein können, dass sie gerettet sind (Röm 5,1; 8,31-39). Wenn man sich jedoch auf seine Werke verlässt, um Heilsgewissheit zu erlangen, kann man niemals absolute Gewissheit haben, da niemandes Werke fehlerfrei sind.
Meine letzten Einwände gegen das reformierte Verständnis unseres Verses betreffen den eigentlichen Wortlaut dieses Verses und der folgenden.
Paulus fordert die Gläubigen in Korinth nicht auf, ihre Werke zu prüfen, um zu sehen, ob sie gerettet sind oder ob sie zur Familie Gottes gehören. Er hat einen anderen Zweck für ihre Selbstprüfung im Sinn. Betrachten wir sorgfältig die beiden Formulierungen, die Paulus verwendet, um zu zeigen, was die Prüfung der eigenen Werke zeigen soll.
Im Glauben. Dies könnte sich auf die Errettung beziehen, aber genauso gut auf die Heiligung. Paulus könnte die korinthischen Gläubigen auffordern, zu prüfen, ob sie in ihrer Erfahrung im Glauben verharren. Wenn nicht, wären sie Abtrünnige, Gläubige, die nicht in der Gemeinschaft [mit Christus] sind. In diesem Zusammenhang und angesichts der bereits vorgebrachten Einwände steht fest, dass „im Glauben sein“ sich auf die Heiligung und nicht auf die Errettung bezieht.
Christus in euch. Auch dies könnte sich auf die Errettung beziehen. Christus lebt in allen Gläubigen. Es könnte sich aber auch auf die Heiligung beziehen. Wie Munger in seinem Büchlein „My Heart Christ’s Home“ [Mein Herz Christi Wohnstätte] darlegt, ist Christus nur in dem Maße im Leben der Gläubigen zu Hause, wie wir Ihm gehorchen. Angesichts des Kontextes und der oben angeführten Einwände ist es klar, dass Paulus die korinthischen Gläubigen auffordert, ihre Werke zu prüfen, um zu sehen, ob Christus erfahrungsgemäß in ihnen ist. Sind ihre Werke christusähnlich? Wenn ja, dann ist der Herr Jesus tatsächlich in ihrer Erfahrung aktiv. Wenn nicht, sind sie in ihrer Erfahrung nicht in Christus.
Es gibt einen wichtigen kontextuellen Hinweis, der die von mir dargelegte Auslegung der Heiligung bestätigt. Es ist ein Begriff, der in den Versen 5, 6 und 7 vorkommt. Der Begriff lautet in Griechisch [αδοκιμος, adokimos] [und in einer Auswahl der deutschen Übersetzungen: „unecht“ [primär] bzw. „unbewährt“ [Fußnote] (Schlachter 2000); „unbewährt“ (Elberfelder 2006); „nicht bewährt“ (Lutherbibel 2017); „untüchtig“ (Luther 1912) oder „die Probe nicht bestanden!“ (Neue Genfer Übersetzung 2011). Die Übersetzung „unecht“ in der Schlachter Bibel würde unter Umständen die kalvinistischen Tendenzen mancher Übersetzer widerspiegeln. In der engl. Übersetzung NKJV3 in Vers 13,7 werden die Worte [δοκιμος, dokimos] „bewährt“ / [αδοκιμος, adokimos] „unbewährt“ auch etwas unklar als „approved“ / „disqualified“ übersetzt. In einem Artikel3 argumentiert jedoch Robert Wilkin, dass eine Übersetzung dieser griechischen Wörter als „approved“ / „disapproved“ [bewährt / unbewährt] eindeutiger bzw. weniger verwirrend wäre. Nur die englischen Übersetzungen NASB (New American Standard Bible) und Young’s Literal Translation übersetzten an dieser Stelle konsequent: „approved“ / „disapproved“. Alle anderen tun das weniger eindeutig.]
Dieser Begriff [αδοκιμος, adokimos] „unbewährt“ wird an anderer Stelle in den Schriften des Paulus und im NT ausschließlich für Gläubige verwendet wird. In der Tat verwendet Paulus in 1. Korinther 9,274 genau diesen Begriff in Bezug auf sich selbst. Er sagte, dass er seinen Körper bezwinge und in seinem Dienst für Christus weitermache, damit er nicht von den Belohnungen ausgeschlossen werde, die den Gläubigen zuteil werden. Gott wird nur die Taten von treuen Gläubigen anerkennen. Diejenigen, die die Prüfung, von der Paulus in 2. Korinther 13,5 spricht, nicht bestehen, werden für die Belohnungen abgelehnt. Sie werden jedoch gerettet werden, wenn auch „wie durchs Feuer hindurch“ (1. Korinther 3,15).
Ein verwandtes Substantiv und Verb des soeben zitierten Begriffs stützt die Auffassung von der Heiligung weiter. In Vers 3 weist Paulus darauf hin, dass einige der Korinther einen Beweis (δοκιμην, dokimēn) dafür suchten, dass Christus durch Paulus sprach.
In Vers 5 dreht Paulus dann den Spieß um und fordert sie auf, sich selbst zu beweisen (δοκιμαζετε, dokimazete). Was einige der Korinther in Frage stellten, war nicht Paulus’ Errettung. Es war seine Heiligung. Sie stellten in Frage, ob er ein wahrer [richtiger, ehrlicher] Sprecher und Apostel Christi sei. Auch als er den Spieß umdrehte, stellte er ihre Heiligung in Frage, nicht ihre Errettung.
Nirgendwo fordert die Heilige Schrift die Gläubigen auf, sich durch ihre Werke Heilsgewissheit zu verschaffen. Wir sind aufgerufen, auf Christus zu schauen und unsere Sicherheit in Ihm zu finden. Allerdings werden Gläubige in der Heiligen Schrift wiederholt aufgefordert, auf ihre Werke zu schauen, um herauszufinden, wie es um ihren Wandel mit Christus bestellt ist. Zweite Korinther 13,5 ist ein solcher Vers. Ja, als Gläubige sollen wir uns regelmäßig prüfen. Damit soll sichergestellt werden, dass wir unser Bestes in unserem Dienst für Christus tun.